zurück

Drei-Sterne-Küche – Klassik mit Butter und Leber

Drei-Sterne-Küche – Klassik mit Butter und Leber
Hôtel de Ville in Crissier-Schweiz

Noch bis Ende des Jahres feiert das Hôtel de Ville im schweizerischen Crissier Jubiläum. Vor 60 Jahren wurde das Gebäude von Benjamin Girardet gekauft, unter seinem Sohn Frédy etablierte es sich als eines der besten Restaurants der Welt. Diesen Status hat die Legende unter den Schweizer Gastwirtschaften bis heute bewahrt, vor allem Dank einiger einfacher Prinzipien.

An grosse Küche dachte Benjamin Girardet wohl selten. 1951 liess sich der zu jener Zeit gar nicht mehr so junge Koch im unscheinbaren waadtländischen Städtchen Crissier nieder, vier Jahre später kaufte er das Gebäude, in dem sich noch heute das Restaurant L’Hôtel de Ville befindet. 1955 gilt somit als Beginn der glorreichen Geschichte des Lokals, das freilich in den ersten Jahren vor allem mit bodenständigen, von französischen und Schweizer Prinzipien bestimmten Gerichten auf sich aufmerksam machte.

Die besten Weine jetzt günstig bei Weinclub.com im Onlineshop

Benoît Violier – Küchenchef im Hôtel de Ville mit seiner Frau Brigitte
Benoît Violier – Küchenchef im Hôtel de Ville mit seiner Frau Brigitte

Auch als Frédy Girardet 1965 nach dem Tod des Vaters zum Patron aufstieg, galten die von Benjamin Girardet erfundenen Kalbsnieren Bolo noch als Krönung der hiesigen Kochkunst.

Der Umschwung setzte allmählich ein: Erst als Girardet junior in Verbindung kam mit den Erneuerern der französischen Kochkunst, drehte sich das Blatt. Vor allem ein Essen bei den Brüdern Troisgros in Roanne muss Girardet nachhaltig beeindruckt haben.

Ende der Sechziger begann allmählich der Aufstieg von der gut geführten Dorfbeiz zu einem der renommiertesten Restaurants des Planeten. Die Höchstauszeichnungen in GaultMillau und Michelin folgten, schliesslich wählten zahlreiche Experten den Inhaber des Restaurants gar zum Koch des Jahrhunderts.

Kritiker warfen anschliessend ein, dass Girardet nur deshalb gewonnen hatte, weil sich die vielen französischen Köche auf keinen der ihren einigen konnten und deshalb den quasi ausser Konkurrenz auftretenden Schweizer benannten. Dass die Ehrung verdient war, bestritt allerdings niemand.

Spektakulär geht anders

Inzwischen ist Girardet schon fast 20 Jahre im Ruhestand, doch seine Nachfolger haben das Restaurant auf eine Weise fortgeführt, die staunen lässt. Erst Philippe Rochat, der bedächtige Schweizer, der in diesem Jahr unter tragischen Umständen ums Leben kam, dann Benoît Violier, der eloquente Franzose. Keiner hat auch nur im Traum daran gedacht, die Klassik aufzugeben und sich einer hoch modernen Küche zu verschreiben.

Langoustine citron
Langoustine citron

Traditionelle, nur leicht verfeinerte Rezepte haben sich über die Zeit gerettet, sind heute moderner denn je. Was die vielköpfige Equipe beispielsweise als Begleitung zum Apéro vorbereitet, ist nicht spektakulär, aber perfekt. Jenes vor ein paar Wochen servierte Blätterteiggebäck etwa, dem man die viele Butter anschmeckt und deren Güte gleich auch noch.

Oder die winzigen Happen danach, bei deren Zubereitung Stopfleber nicht fehlen durfte. Extreme Kompositionen sind übrigens weder hier noch bei den Entrées, Zwischengängen und Hauptgerichten zu entdecken.

Kaviar, Austern, Taschenkrebs und wiederum Gänseleber werden zu feinen, eleganten Vorspeisen verarbeitet. Die Scheiben von der Jakobsmuschel mit Kaviar sind so ein Beispiel für Purismus, der ganz und gar unaufgeregt daherkommt und vor allem von der Qualität der Zutaten lebt.

Weiterentwickelt wurde Rochats legendäre Kombination aus Pasta, Ei und weissen Alba-Trüffeln: Im vergangenen Jahr fand ich Benoît Violiers Interpretation nicht ganz überzeugend, in diesem stimmte alles. Ob so eine Vorspeise 125 Franken wert ist, muss jeder Gourmet für sich entscheiden.

Bécasse en salmis
Bécasse en salmis

Bressepoularde und Gämsen

Eines der Geheimnisse des Restaurants liegt also, man merkt es spätestens beim Steinbutt mit Menton-Zitronen, am Einkauf. Hummer aus der Bretagne, Fisch aus Atlantik-Wildfang, dazu in der Saison eine Fülle an Wildgerichten, wie sie wohl von keinem anderen Restaurant Europas übertroffen, wie sie nur von wenigen Kollegen erreicht wird.

Ringeltauben und Brachvögel kann man hier bestellen, Steinbock und Gämsen, sogar das schottische Moorschneehuhn oder die Waldschnepfe.

Doch es muss nicht das grandios intensive Gämsenfleisch sein, das ich vor zwei Jahren probieren konnte, es genügt schon, eine Miéral-Poularde zu bestellen, für zwei oder drei Personen, und sich vom saftigen, in zwei Gängen servierten Fleisch und der sämigen, mit Foie gras zubereiteten Sauce begeistern zu lassen.

Über 4.000 Weine jetzt bei Weinclub.com im Onlineshop entdecken

Verrine poire sureau
Verrine poire sureau

Die aus Kartoffeln geschnitzte Beilage war diesmal teilweise zu fest, liess es an Präzision mangeln. Kein Drama, sondern einfach ein Hinweis darauf, dass auch ein solch exklusives Restaurant keine Maschine ist, sondern Schwächen hat. Es sind wenige, und sie betreffen eher die Einrichtung (bieder bis belanglos) und die Weingläser (nicht von jener Klasse, die man hier erwarten darf) als das Essen.

Und was das Dessert angeht: Ein Passionsfruchtsoufflé kann man nicht besser machen: fluffig und schaumig, mit einer knackig-sauren Passionsfruchtsauce ausbalanciert. Es ist vielleicht nicht der komplexeste Nachtisch, den man sich vorstellen kann, aber er ist in sich wunderbar stimmig.

Ob das L’Hôtel de Ville das beste Restaurant der Welt ist, kann man lange diskutieren, ohne zu einem Urteil zu kommen. Dass die drei Sterne voll verdient sind, wird hingegen niemand ernsthaft bestreiten.

PS: Für ein Essen sollte man, regionale Weine und sonstige Getränke inklusive, knapp 500 Franken pro Person einkalkulieren.

Restaurant de l’Hôtel de Ville

Über den Autor

Wolfgang Fassbender ist seit 25 Jahren als freier Journalist in den Bereichen Wein und Gastronomie tätig. Der gebürtige Leverkusener hat mehr als 80 Bücher geschrieben oder herausgegeben, arbeitet für viele Zeitschriften und mehrere Zeitungen, testet sich als Restaurantkritiker durch die Welt.

Er pendelt zwischen seinen Wohnsitzen im Rheinland und Zürich.

Kommentare

Sicherheitscode eingeben:

Meine Favoriten
Nach oben

Jetzt Facebook-Fan werden und keine Story verpassen

Jetzt Facebook-Fan werden

Jetzt den Feinschmecker.com
Newsletter abonnieren

Immer auf dem aktuellen Stand - die besten Rezepte & Storys - das Feinschmecker.com Mailing kostenlos abonnieren.

Datenschutz wird bei uns gross geschrieben - wir geben Ihre Daten niemals weiter. Der Newsletter kann jederzeit gekündigt werden.