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Paris sieht orange – die vierte Weinfarbe kommt

Paris sieht orange – die vierte Weinfarbe kommt
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Paris sieht orange

Der natürlich erzeugte Wein liegt im Trend, alle Welt redet von den Orange Wines. Doch nirgendwo ist die schwefelfreie oder wenigstens schwefelarme, die manchmal auf der Maische vergorene und meist ohne Hilfsmittel erzeugte Form des Rebensaftes so angesagt wie in Paris. Wo sich zahlreiche Weinbars mit Haut und Haaren den Vins naturels verschrieben haben. Zufällig vorbeikommende Gäste müssen sich auf was gefasst machen.

Im Vivant ist die Sache klar geregelt. „Wir führen ausschliesslich Vins naturels“, sagt Inhaber Pierre Jancou. In der kleinen Weinbar neben dem eigentlichen Restaurant, in der wir vor dem Abendessen noch einen Aperitif nehmen, und im Vivant selbst, das auch nicht sehr viel grösser ist. Vorn wird das Brot geschnitten, hinten kann man in die Küche schauen, in der zwei kochende Personen gerade noch Platz haben. Und in der Mitte sitzen all die, die sich in Paris mit orangenen Weinen und deren Verwandten beschäftigen wollen.

Welthauptstadt der Vin naturels

Die speziellen Weine mögen auch anderswo Liebhaber finden, und Weinbars, die sich diesem Thema gewidmet haben, lassen sich ebenso mühelos in London und New York entdecken. Aber Pariser scheinen die flüssigen Spezialitäten mit wenig Schwefel, die nach dem Vorbild vorindustrieller Weinbereitung vergorenen Experimentaltropfen besonders innig zu lieben.

Vor allem natürlich die jungen, schicken und neugierigen Pariser. Hippe Fast-noch-Jugendliche, die im fünften Arrondissement wohnen, vielleicht sogar im schicken achten, die in Werbeagenturen oder Anwaltskanzleien arbeiten und mit grünen Ideen ebenso sympathisieren wie mit ausgeflippten Winzern, die zurück zu ihren Wurzeln wollen. In den letzten Jahren entstanden, vor allem auf dem sogenannten rechten Ufer der Seine, zahlreiche Bistros, in denen man nichts anderes findet als die Produkte der Naturwein-Fraktion.

Eine Frage der Definition

Orange Wines sollte übrigens niemand mit den Vins naturels verwechseln oder gleichsetzen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie in ganz Europa und dem Rest der Weinwelt ziemlich in Mode sind und dass die Produzenten vieles anders machen, als es auf den Weinbauschulen gelehrt wird. Unter dem Begriff Vins naturels versteht man in der Regel Weine, denen kein Schwefel oder nur geringe Mengen davon zugefügt wurden und die auch sonst mit möglichst geringen Eingriffen des Winzers auskommen.

Spontane Vergärung gehört dazu, ein Verzicht auf Hefenährstoffe, Schönungen, Filterung vor dem Abfüllen und andere allgemein übliche Massnahmen. Orangefarbene Weine wiederum sind Kreszenzen aus hellen Trauben an, die wie bei der Rotweinbereitung auf der Maische fermentierten, also einen bei Weisswein ungewohnten dunkelgelben Farbton annahmen. Natur- und Orangen-Weine können identisch sein, müssen es aber nicht.

Aufgeschlossenheit ist wichtig

Was bei solcher Vinifikation entsteht, hat wenig mit dem zu tun, was man als Weintrinker gewohnt ist. Schwefelfreie Weissweine oxidieren schneller und entwickeln ganz andere Geruchs- und Geschmacknoten als erwartet. Auch im Pariser „Vivant“ sind Überraschungen eingeplant. Restaurantleiter David Benichou fragt deshalb sicherheitshalber nach, als wir einen Sancerre von Sébastien Riffault bestellen. „Kennen Sie den Wein?“ Ja, wir kennen ihn. Und wir wissen, dass er nicht viel mit anderen Sauvignon blancs zu tun hat, dass er dunkler ausfällt als gewöhnliche Sancerres und gerade deshalb gut zur puristischen Küche des Vivant passt.

Die Speisenauswahl ist übrigens klein, die Adresse in einem abgelegenen Teil des zehnten Arrondissements wird seit Anfang an in den Reiseführern gehypt, und manchmal scheinen mehr Gastrofreaks auf der Suche nach dem Wein-Abenteuer da zu sein als Einheimische. Zufällig vorbeimarschierende Touristen sind selten, und wenn sie doch kommen, können sie gleich wieder gehen. Die Tische des Vivant sind oft tagelang im Voraus ausgebucht, und wer früh da ist, muss seinen Platz irgendwann für die zweite Schicht freimachen. Und das dürfte erst mal so bleiben, denn obwohl Pierre Jancou sein Vivant soeben verkauft hat, soll es mit einem Grossteil des bewährten Teams und gleichem, mit sehr orange getöntem Konzept weitermachen.

Weinbars/Bistros in Paris mit bedeutendem oder ausschliesslichem Angebot an natürlich erzeugten Weinen

Vivant
43, rue des Petites Écuries
F-75010 Paris
Tel. +33 1 42 46 43 55
www.vivantparis.com

Restaurant Buvette
28, rue Henry Monnier
F-75009 Paris
Tel. +33 1 44 63 41 71
www.ilovebuvette.com

Verjus, 52
rue de Richelieu und 47 rue Montpensier
F-75001 Paris
Tel. +33 1 42 97 54 40
www.verjusparis.com

Le 38 Gourmet
35, rue de Torcy
F-75018
Tel. +33 9 53 80 31 36
www.le38gourmet.com

Le Comptoir du Relais
9, carrefour de l’Odéon
F-75006 Paris
Tel. +33 1 44 27 07 97
www.hotel-paris-relais-saint-germain.com

Über den Autor

Wolfgang Fassbender ist seit 25 Jahren als freier Journalist in den Bereichen Wein und Gastronomie tätig. Der gebürtige Leverkusener hat mehr als 80 Bücher geschrieben oder herausgegeben, arbeitet für viele Zeitschriften und mehrere Zeitungen, testet sich als Restaurantkritiker durch die Welt.

Er pendelt zwischen seinen Wohnsitzen im Rheinland und Zürich.

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