zurück

James Bond im Glas – Zu Besuch in der Champagne

James Bond im Glas – Zu Besuch in der Champagne
Copyright Maison Charles Heidsieck

Alle reden von den kleinen Kultwinzern der Champagne, schwärmen von Sélosse, Égly-Ouriet und Agrapart. Doch auch die grossen oder ganz grossen Häuser der nordfranzösischen Weinbauregion lohnen den Besuch. Sofern man überhaupt hinein darf in die ausgedehnten Kelleranlagen unter Reims, Dizy oder Aÿ und einem der letzten Küfer der Region bei der Arbeit zuschauen kann.

Auf die Kilometer kommt es nicht an. Acht sollen es bei Bollinger sein, einer der berühmtesten Champagnerfirmen der Welt, doch anderswo zählt man sogar das Doppelte oder gar deutlich über 20 Kilometer Kelleranlagen. Alle Gänge, Abzweigungen und Hallen mitgerechnet, versteht sich. Eindrucksvoll ist diese Tatsache gewiss, aber nicht wirklich wichtig.

Und auch das Material ist es nicht. Ob es gemauerte Räume unter der Erde sind, wie bei Bollinger, oder in die Kreide gekratzten, nach oben spitz zulaufende Tempel des Schaumweins, wie bei Charles Heidsieck: Die Güte des Schaumweins hängt von ganz anderen Parametern ab.

Champagner in grosser Auswahl jetzt im Onlineshop von Weinclub.com

Von der Erfahrung der Kellermeister zum Beispiel. Oder von der Bereitschaft, aufs schnelle Geld zu verzichten und die Weine lange reifen zu lassen. Erheblich länger als gesetzlich vorgeschrieben. Mindestens drei Jahre sind es bei Bollinger, fünf bei Heidsieck. Nach oben gibt es kaum Grenzen, 12, 15 oder 20 Jahre können es schon mal werden.

Ob sich das lohnt, fragt niemand mehr, der mal einen R.D. aus grossem Jahr verkostet hat; der «Récemment Dégorgé» kann zu den spannendsten Champagnern der Welt gehören, auch wenn der 2002er noch ein bisschen zu jung wirkt. Bei Bollinger wird er an Prestige nur vom Vieilles Vignes Françaises übertroffen, dem aus nach alter Art gepflanzten, wurzelechten Reben gewonnenen Wein.

Lediglich 2000 Flaschen gibt es und auch die nur in Jahren, in denen das Wetter mitspielt. Klar, dass so was nicht mal eben ausgeschenkt wird. Selbst nicht an ausgesuchte Neugierige, denen Führungen durch die Bollinger-Keller vorbehalten sind. Touristentrubel wie bei anderen grossen Häusern ist dem unabhängigen Hause eh fremd – dafür beschäftigt man noch einen eigenen Küfer, der die Holzfässer in Schuss hält.

Freude über 2015

Und was das Wetter angeht: Im letzten Herbst hat alles geklappt. Auch wenn Hitze und Trockenheit den Sommer bestimmten, ist die Balance weitaus besser als 2003, sind die Champagnererzeuger ausser sich vor Begeisterung. Jérôme Philippon zum Beispiel, der Chef von Bollinger. Für die aus der Schweiz angereisten Besucher hat er sich eine Stillweinverkostung einfallen lassen.

Lauter 2015er, nach Rebsorten getrennt und nach Lagen auch. Daneben, nur zum Vergleich, ein paar knackige 2014er und ein, zwei reife Reserveweine. Genau die lagern bei Bollinger traditionell in Magnumflaschen, erhalten etwa Zucker vor der Abfüllung, machen eine Gärung durch. Die zweite alkoholische, um genau zu sein, die dritte, wenn man den Säureabbau hinzurechnet.

Später wird die Reserve zum restlichen Grundwein gegeben und im Rahmen der dann folgenden vierten (!) Fermentation zum echten Champagner. Ganz schön kompliziert und ein bisschen mysteriös, aber genau darauf hat sich Bollinger, die seit eh und je James Bond ausstattende Marke, ja nun spezialisiert.

Champagner bis 1914

Champagner passt nicht nur zu Apéro und Austern
Champagner passt nicht nur zu Apéro und Austern

Um Geschichten und Mythen geht es auch woanders. Bei Pol Roger zum Beispiel, wo man den Besucher durch Kelleranlagen führt, die besser gefüllt sind als irgendwo sonst. Was man in anderen Champagnerhäusern nicht mehr findet, ist in jenem Betrieb, der seine Prestigecuvée dem einstigen britischen Premier Winston Churchill gewidmet hat, selbstverständlich.

Mehr als 100 Jahre zurück reicht das flüssige Archiv, aus dem man gelegentlich noch verkosten darf. Ein 1914er entpuppt sich als eleganter, würziger Schaumwein, der nicht darunter leidet, dass er einen Teil seiner Bläschen eingebüsst hatte. Als ob es darauf ankäme!

Wer als Champagnerhaus keine Raritätensammlung sein eigen nennen kann, weil Krieg, Besatzung und wirtschaftliche Probleme für leere Regale gesorgt haben, muss sich nicht grämen, denn der qualitative Aufschwung ist in der Region vielerorts mit Händen zu greifen. Neue Flaschenformen sind bloss das äussere Zeichen, eine immer präzisere Auswahl der Stillweine und verstärkte Präzision merkt man den kleinen wie den grossen Erzeugern an.

Oder den mittleren. Charles Heidsieck, immer noch ein Geheimtipp, hat sich in den letzten Jahren nach ganz oben gearbeitet. Ein paar hunderttausend Flaschen werden hier jährlich gefüllt – deutlich weniger als bei Bollinger, wo drei Millionen das Licht der Champagne erblicken.

Über 80 Weine aus der Champagne jetzt bei Weinclub.com im Shop

Heidsieck-Geschäftsführer Stephen Leroux spendiert einen 1985er und weist auf die Vorzüge des 1995ers hin, welcher im Gegensatz zum Veteranen noch zu haben ist. Doch es ist nicht zuletzt die Standardcuvée in weiss und rosé, die hier begeistert: Für vergleichsweise wenig Geld bekommt man eine Menge reifen, behutsam dosierten Wein.

Welcher auch zur servierten Kombination aus Kalbsfilet, gebratener Entenstopfleber und Trüffel-Millefeuille passt. Lasse sich keiner einreden, dass Champagner nur zum Apéro oder zu Austern geeignet sei!

738, 739 und 740

Apropos Standardcuvée. Fast niemand in der Champagne hat Besseres vorzuweisen als die Brüder Chiquet. Die Marke Jacquesson haben sie in den letzen 20 Jahren zu einem der führenden Betriebe gemacht, irgendwo zwischen einem grossen Haus und einem kleinen Winzer angesiedelt.

Fein ist schon die Basis. Der 738 zum Beispiel, der jetzt in den Bars von Reims allmählich gegen den 739 ausgetauscht wird, im Wesentlichen aus dem Jahrgang 2010 stammt und mit gerade mal 2,5 Gramm pro Liter dosiert wurde.

So was schmeckt sogar im Anschluss an die grossen, reifen Charles-Heidsieck-Champagner und lässt einen vom 740er träumen. Dass auch die nächste Abfüllung von Jean-Hervé und Laurent Chiquet einer der allerbesten Einstiegserlebnisse einer aussergewöhnlichen Weinbauregion sein wird, dürfte kaum zu bezweifeln sein.

Vier herausragende Champagnerhäuser:

Bollinger: www.champagne-bollinger.fr
Charles Heidsieck: www.charlesheidsieck.com
Jacquesson: www.champagnejacquesson.com
Pol Roger: www.polroger.com

Über den Autor

Wolfgang Fassbender ist seit 25 Jahren als freier Journalist in den Bereichen Wein und Gastronomie tätig. Der gebürtige Leverkusener hat mehr als 80 Bücher geschrieben oder herausgegeben, arbeitet für viele Zeitschriften und mehrere Zeitungen, testet sich als Restaurantkritiker durch die Welt.

Er pendelt zwischen seinen Wohnsitzen im Rheinland und Zürich.

Kommentare

Sicherheitscode eingeben:

Meine Favoriten
Nach oben

Jetzt Facebook-Fan werden und keine Story verpassen

Jetzt Facebook-Fan werden

Jetzt den Feinschmecker.com
Newsletter abonnieren

Immer auf dem aktuellen Stand - die besten Rezepte & Storys - das Feinschmecker.com Mailing kostenlos abonnieren.

Datenschutz wird bei uns gross geschrieben - wir geben Ihre Daten niemals weiter. Der Newsletter kann jederzeit gekündigt werden.