zurück

Die Palabirne – Wenn Menschen die Heimat lieben

Die Palabirne – Wenn Menschen die Heimat lieben
Copyright Vinschgau Marketing - Frieder Blickle

Als Frau würde sie keine sehr gute Figur abgeben. Doch ihre Anhänger lieben ihre knubbelige, unregelmässige Form. Denn die Palabirne ist für sie etwas ganz Besonderes. Seit über 300 Jahren begleitet die autochthone Birne die Region des mittleren und oberen Vinschgaus. Dank einiger Patrioten erlebt sie nun ein Revival.

„Ich erinnere mich noch an meine Kindheit, als…“ So beginnen die meisten Erzählungen der Vinschgauer über ihre ,Vinschger Palabir‘. Kein anderer Baum hat das Landschaftsbild zwischen den pittoresken Örtchen Kastelbell und Mals so geprägt wie der bis zu 20 Meter hohe Palabirnenbaum. Seine gesunde Frucht ernährte früher die Menschen während Erntezeit. Die Ärzte der Gemeinden scherzten sogar gern, dass sie zur Reifezeit der Palabirnen in Urlaub gehen könnten. Denn dank des hohen Vitamin C-Gehalts der Ur-Birne, hatten sie dann keine Patienten hatten.

Über 4.000 ausgesuchte Weine im Onlineshop von Weinclub.com

Dennoch die älteste Birnensorte Südtirols geriet mit dem Einzug von exotischen Früchten im Supermarkt in Vergessenheit. Doch immer mehr heimatverbundene Vinschgauer setzen sich für ihre Palabirne ein. Denn sie erinnern sich…

„Ich erinnere mich noch, dass meine Mutter die Birnenspalten getrocknet und gemahlen hat. Das war dann ein günstiger Zuckerersatz, denn die Birnen hingen ja im Garten“, berichtet Friedrich Steiner, der in Mals die erste Bio-Brennerei Südtirols besitzt. Denn die Palabirne ist weit süsser als ihre Artgenossen und wird daher auch gerne Zuckerbirne genannt.

„Ich erinnere mich noch an Weihnachten“, meint Peter Schuster lächelnd. „Wenn meine Mutter ihr köstliches Weihnachtsbrot, das Zelten, gebacken hat. Natürlich durfte darin nicht die Palabirne fehlen.“ Vielleicht war das ja der Grund, warum der Bäckermeister aus Laatsch vor mehr zehn Jahren den Grundstein für die Rückkehr der Palabirne legte. Denn obwohl die Palabirnenbäume die Region prägten, wurden ihre Früchte längst nicht mehr geschätzt. Die meisten Bäume sind weit über zehn Meter hoch, was die Ernte zu einer kniffeligen Angelegenheit macht. „Früher waren die Einwohner dieser Region arm, doch dann kam der Tourismus und die Supermärkte, die Vieles erleichterten. Der Mensch ist eben bequem. Warum sollte er sich die Mühe machen und auf einen Baum klettern, wenn er einfach nur in den Laden gehen muss!?“

Vom Baum zur Delikatesse

So fielen die Birnen zu Boden, verfaulten oder wurden lange Zeit als Tierfutter genutzt. Doch Peter Schuster erkannte den Lauf der Zeit. „Wenn wir die Palabirne nicht wieder schätzen gelernt hätten, wäre sie irgendwann verschwunden.“ In seiner Bäckerei in Laatsch bäckt er daher sein fruchtig-saftiges Palabirnenbrot. Ein Roggenbrot, dass mit Palabirnen und Rosinen gefüllt ist. In mühevoller Kleinarbeit werden dafür jährlich bis zu 6000 Kilo Birnen in Spalten geschnitten und anschliessend gedörrt, so dass sie bis zu einem Jahr haltbar sind.

Ehe sie dann ins Brot kommen, werden sie in Wasser aufgekocht, abgekühlt und verbacken. Auf einen 300 Gramm Brotlaib kommen 400 Gramm nasse Früchte. „Das Brot nicht nur gesund, sondern auch eine köstliche Ganzjahres-Spezialität zu Almkäse oder einfach nur mit Butter“, schwärmt Irene Hellrigl, eine der Botschafterinnen der Palabirne.

Weine aus aller Welt bei Weinclub.com im Onlineshop

Doch gerade die schwere Ernte macht es den Patrioten nicht leicht. Mit einer sogenannten Lon – einer Leiter, die aus einem Stab mit Querstreben besteht – kommt man meist nicht einmal bis zur Hälfte des Baumes hinauf. Andere Varianten, wie das Mieten eines Lasters mit Hebebühne, sind zu kostspielig. „Meist kann man nur einmal ernten, und das ist eben nicht ideal. Nicht alle Früchte haben dann den perfekten Reifegrad“, meint Peter Schuster. „Allerdings kann ich mich da ein bisschen bewegen, weil ich ja auch kleine und nicht so schöne Früchte nehmen kann.“

Ein destilliertes Unikat

Friedrich Steiner hat es da nicht so einfach. Für seinen mehrfach prämierten Palabirnenbrand verarbeitet der 56-Jährige nur die besten und optimal gereiften Früchte. „Das ist absolute Liebhaberei“, gibt er grinsend zu. „Ich maische immer nur die reifsten Früchte ein und lasse die anderen liegen, bis sie auch soweit sind.“ Auf diese Weise muss er manche Birne drei bis vier Mal in die Hand nehmen. „Das Endprodukt muss eben stimmen.“ Die Birnen für seinen Brand bekommt er von Hausbesitzern, die alte Bäume im Garten haben und den bis zu 500 Kilo Behang nicht allein verarbeiten können.

Wie in alten Zeiten tauscht er die Birnen gegen Kartoffeln ein. „Schon früher war die Palabirne ein begehrtes Handelsgut.“ Und sie ist auch dafür verantwortlich, dass Steiner überhaupt zum Brennen kam: „Die Palabirne begleitet mich seit meiner Kindheit. Ich habe sie immer in der Küche unseres Familienhotels verarbeitet, aber das war mir nicht genug.“ Vor knapp zehn Jahren begann er mit dem Schnapsbrennen. „Aber die Palabirne kommt bei mir nur in besonders guten Jahren in die Flasche. Der Brand ist eine absolute Rarität.“ Und mit seinem feinen, sehr fruchtigen Aroma, dem harmonischen Bouquet und dem langen, weichen, fast cremigen Abgang ein Hochgenuss.

Über 4.000 ausgesuchte Weine jetzt kaufen bei Weinclub.com

Um diese neugewonnenen Produkte der Region auch in Zukunft zu unterstützen hat Friedl Powitzer seinen ganz eigenen Weg eingeschlagen. Der Pensionist hat 220 neue Palabirnenbäume gepflanzt. „Ich habe lange überlegt, wie ich mich an der Rückkehr der ,Palabir‘ beteiligen kann“, sagt der 65-Jährige. „Wir haben nicht mehr ausreichend alte Bäume, um den Weg auf Dauer zu gehen, den wir nun eingeschlagen haben.“ Seine neue Palabirnen-Generation ist als Mittelstamm gezüchtet. Die Bäume werden somit nur zwei bis drei Meter hoch, was das Ernten erheblich erleichtert.

Ein Fest für die Frucht

„Aber“, wirft Ägidius Wellenzohn ein, „wir dürfen deswegen nicht unsere alten Bäume vergessen.“ Im vergangenen Jahr gründete er daher die Arbeitsgruppe „Vinschger Palabir“. „Jeder von uns hat mindestens einen alten Palabirnenbaum.“ Vor seinem Haus in Glurns steht einer der ältesten. „Bei einer Zählung des Altbestands wurde er auf 280 bis 300 Jahre geschätzt“, berichtet er stolz. „Die Palabirne ist ein Unikat. Sie ist ein Geschenk, dass unserer Region gemacht wurde. Und das müssen wir schützen!“ Daher bemüht sich die Arbeitsgruppe auch bei der EU um Fördergelder zum Erhalt der Palabirne.

Ihren Weg fand die Palabirne im 17. Jahrhundert über Vorderasien ins Vinschgau. Doch damals hätte wohl niemand geahnt, dass sie einmal zum Aushängeschild dieser Region werden würde – und ihr sogar ein Fest gewidmet wird. Denn ab dem zweiten Septemberwochenende feiert die Gemeinde Glurns eine Woche lang ihre Birne. Dann steht die ,Palabir‘ an erster Stelle – auch in der Gastronomie, die sich allerlei Köstliches einfallen lässt. „Sie gehört einfach wieder zu uns“, freut sich Peter Schuster. „Und dass das so bleibt, dafür sorgen wir schon.“

Weitere Infos unter: www.schuster.it, www.biohotel-panorama.it, www.vinschgau.net und www.suedtirol.info.

Über die Autorin

Es gibt sie ganz selten. Doch Anja Hanke hat das grosse Glück zu ihnen zu gehören: Den Menschen, die ihr Hobby zum Beruf machen konnten.

Sie liebt gutes Essen, handgefertigte Weine, erlesene Produkte und diese Verbindung an den verschiedensten Orten dieser Welt einzufangen – und für ihre Leser genussvoll aufzubereiten.

Kommentare

Sicherheitscode eingeben:

Sophia Spillmann

Liebe Frau Hanke, ein sehr interessanter Artikel. Ich möchte jedoch gerne hinzufügen, dass ein Mann in knubbliger Birnenform sicherlich auch keine gute Figur abgeben würde. In diesem Sinne wünsche ich eine schöne Weihnachtszeit.

Meine Favoriten
Nach oben

Jetzt Facebook-Fan werden und keine Story verpassen

Jetzt Facebook-Fan werden

Jetzt den Feinschmecker.com
Newsletter abonnieren

Immer auf dem aktuellen Stand - die besten Rezepte & Storys - das Feinschmecker.com Mailing kostenlos abonnieren.

Datenschutz wird bei uns gross geschrieben - wir geben Ihre Daten niemals weiter. Der Newsletter kann jederzeit gekündigt werden.