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Wodka – ein Wässerchen, das es in sich hat

Wodka – ein Wässerchen, das es in sich hat
Copyright Irina Klimenko

„Wodka ist kein Schnaps, aber auch stark“, sagt Anatoly Gendin. Der russische Journalist und Schriftsteller kennt sich bestens aus, was die Spezialitäten seiner Heimat angeht. Seit mehr als 20 Jahren schreibt er über die köstliche Seiten des Lebens.

Ob er Wodka dazu zählen würde? Auf jeden Fall ist er das Nationalgetränk seiner Heimat. Mit uns sprach der 61-Jährige über das „Wässerchen“, das in Russland einfach dazu gehört. Ein Gespräch zwischen Mythen und erstaunlichen Fakten.

Was eigentlich ist Wodka?

Klassischer russischer Wodka besteht aus Getreidealkohol, der normalerweise aus Roggen und Weizen hergestellt wird, und aus Wasser, das zum Verdünnen des Alkohols auf die Verkaufsstärke – meist 40% Reinalkoholgehalt – dient. Er hat streng genommen keinen Eigengeschmack und kein Aroma. Anders als bei Bränden, die in der Regel den Geschmack und das Aroma der Beeren oder Früchten besitzen, aus denen sie hergestellt worden sind.

Wodka ist also gleich Wodka?

Beileibe nicht! Die Qualität des Getreides, die Sorgfalt beim Brand und besonders das Wasser sorgen für die unterschiedlichsten Qualitäten und wirken sich direkt auf die Reinheit des Endproduktes aus.

Wie wichtig ist das Wasser im Wodka?

Das sagt schon der Name alles: Der Begriff Wodka ist ein Diminutiv und leitet sich von “Woda” (Wasser) ab. Wodka ist also das Wässerchen. Und was für ein Wässerchen es ist, zeigen die Hersteller auch auf den Etiketten und werben mit z.B. “speziell verfeinertes Wasser”.

Alle gewissenhaften Produzenten bereiten das Wasser vor, verfeinern, filtern und befreien es von unerwünschten Inhaltsstoffen, selbst wenn es sich dabei um das reinste Quellenwasser handelt. Allerdings ist das destillierte Wasser auch nicht die beste Variante, denn die Spurenelemente im Wasser tun dem Endprodukt gut, prägen seinen Charakter.

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Darüber hinaus sind diese Spurenelemente für eine weitere wichtige Eigenschaft verantwortlich: Dieser Wodka trinkt sich schlicht leichter. Zu dieser Eigenschaft tragen auch einige Geschmackszusätze wie Honig, Rosinen, Meerrettich, Wildkräuter, Wald- und Gartenbeeren oder ein Aufguss von Zirbelnüssen, um einige Beispiel zu nennen, bei. Bei einigen dieser Zusätze bekommt der Wodka dann gerne auch mal Farbe. Doch klassischer Wodka ist absolut farblos und im besten Wortsinn eine klare Sache.

Kann die „klare Sache“ denn schlecht werden?

Es mag seltsam klingen, aber auch Wodka hat eine Haltbarkeitsdauer. Wodka erreicht seine optimale Qualität rund ein Jahr nach der Abfüllung. Im Laufe der Zeit verdunstet Wodka und es können sich unerwünschte Sedimente bilden, die den Genuss einschränken.

Russland und Wodka sind im westlichen Teil Europas ein gängiges Wortpaar, das Synonym steht für russische Kultur und Lebensart, das gleich einen Haufen tradierter Vorurteile freisetzt. Doch wer hat Wodka wirklich erfunden?

Darüber besteht ein ewiger Streit zwischen Russland und Polen. Doch es ist müssig darüber zu streiten, wer nun dieses tolle Getränk als Erster entdeckt hat. Im historischen Kontext macht es zudem kaum Sinn.

Ich möchte es mal diplomatisch ausdrücken: Es ist sehr wahrscheinlich, dass die verwandten slawischen Völker, die in räumlicher Nähe und unter ähnlichen klimatischen Bedingungen lebten, zu der gleichen Zeit auf diese Idee gekommen sind. Zum Glück für alle Freunde der harten Getränke.

Ein perfektes Stichwort – Wie und warum trinkt der geneigte Trinker?

Zunächst wird Wodka getrunken, um einen gewissen Betrunkenheitsgrad zu erreichen und somit die angenehmen begleitenden Empfindungen des Rausches zu spüren. Trinkende werden ungezwungener, lustiger, fröhlicher, offener und witziger. Zumindest solange sie eine bestimmte (und sehr individuelle) Dosis nicht überschreiten.

Wodka gehört in Russland einfach dazu
Wodka gehört in Russland einfach dazu

Eigentlich hat der Prozess des Wodkatrinkens nichts besonderes an sich, denn es gibt schlicht nichts zu geniessen. Deswegen wird Wodka schnell getrunken, mit einem Schluck und auf ex! Man versucht quasi dem Moment der Trunkenheit schnell näher zu kommen. Anders als bei Bränden. Die kann, soll und muss man riechen und schmecken, um Frucht- und Beerenaroma vollends auszukosten.

Einen Brand behalten sie im Mund halten, lassen die Aromen auf Zunge und im Gaumen wirken. Dafür braucht es eine gewisse Zeit, denn wer einen guten Brand in einem Schluck hinunterstürzt, verschenkt die Hälfte des Genusses und es bleibt einzig der Rausch. Und umgekehrt das gleiche. Wenn man Wodka wie einen Brand trinkt, ist dies eine grosse Enttäuschung: es gibt nichts zum Riechen, da klassischer Wodka kein Aroma – ausser das von Spiritus – hat.

Wodka vor dem Hinunterschlucken im Mund zu halten ist also kulinarisch betrachtet absolut nutzlos. Übrigens, eins von zahlreichen russischen Alkohol-Sprichworten besagt: “Nach dem ersten Wodkaglas isst man nichts nach”. Und das spiegelt sehr präzise die erste Priorität beim Wodkatrinken wieder. Es ist wichtig schnell das Rauschgefühl zu spüren – jedes Essen verschiebt diesen gewünschten Effekt, ist also hinderlich.

Was ist die ideale Trinktemperatur?

In der Regel wird Wodka vor dem Trinken auf 8 – 10°С abgekühlt, dass heisst etwas wärmer als die klassische Trinktemperatur für Champagner. Es macht keinen Sinn, Wodka eiskalt zu trinken, auch wenn dies weit verbreitet ist. Eiskalter Wodka wird alle Geschmacksrezeptoren im Mund für einige Zeit lahmlegen. Möglicherweise hat der westeuropäische Glaube, russischer Wodka müsste sehr kalt serviert werden, mit den gängigen Stereotypen zu tun: sibirische Kälte, eiskalter Wodka …

Wollen Sie noch weitere Vorurteile ausräumen?

Es gibt eine Vielzahl irriger Vorstellungen, die mit dem russischen Wodka verbunden sind. Eins davon ist das Zerschlagen des Glases. Die Tradition, nach dem Austrinken von Getränken – und nicht unbedingt von Wodka – Gläser auf den Boden zu zerschmettern, geht auf einen uralten Hochzeitsritus zurück.

Nach der ersten Brautnacht servierten die Gäste dem Bräutigam ein Glas Honigwein und haben seine Reaktion aufmerksam verfolgt. Sollte seine Frau in der Tat Jungfrau gewesen sein, hat der junge Mann den Wein ausgetrunken und das Glas danach zerschlagen. Falls dem nicht so war, wurde das Glas nicht zerschlagen. Mit russischer Trinktradition hat das, auch und vor allem bezogen auf Wodka, rein gar nichts zu tun.

Brauchen Russen einen Anlass zum Wodkatrinken?

Streng genommen lässt sich immer ein Anlass finden – ob im privaten Leben eines Menschen oder im staatlichen Leben: Geburtstage, Hochzeiten, Begräbnisschmaus, Tag der russischen Gesetzgebung, neuer Job, Beförderung, Entlassung, Sieg der eigenen Fussballmannschaft, Niederlage der eigenen Fussballmannschaft… Bei Ihnen in Deutschland heisst es, glaube ich: „Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg!

Spannend ist, dass im Gegensatz zu den Westeuropäern, die am Tisch eher lakonisch sind („Zum Wohl!“, „Prost“), Russen praktisch immer erklären, worauf sie eigentlich trinken. Auf die Gesundheit, auf den Neugeborenen, auf die Kinder, auf die anwesenden Damen, auf unsere Erfolge in der Raumfahrt, auf neue kreative Aufträge – und so weiter, ohne Ende. Wenn die Fantasie wirklich mal erschöpft ist, kommt der unschlagbare, ultimative Tischspruch an die Reihe: “Es gibt keinen Grund, nicht zu trinken!

Wodka auch zum Essen?

Zum Wodka isst man Zakuska
Zum Wodka isst man Zakuska

Aus kulinarischer Sicht ist Wodka ein Universalist. Wodka ist praktisch mit jedem Essen gut kombinierbar, abgesehen von vielleicht Nachspeisen. Wodka ist ideal zu den schweren Gerichten: Fettreiches, gebratenes, geräuchertes Fleisch, salziger Fisch; generell zum Gesalzenen. Unter den besten Kombinationen ist Wodka und Pelmeni zu nennen: Typisches nationales Getränk und typisches nationales Gericht.

Und dann sind da noch “Zakuska”. Zakuska bezeichnet Lebensmittel beziehungsweise Speisen, welche in kleineren Mengen unmittelbar nach jedem Glas Wodka gegessen werden. Nach “Zakuska” kann man ruhig wieder zu dem laufenden Gang zurückkehren oder zum nächsten wechseln.

Klassische russische Zakuska sind Kaviar, gesalzene – nicht marinierte! Gurken oder Tomaten und die russische Variante von Sauerkraut, die sich wesentlich vom deutschen Sauerkraut unterscheidet. Sehr gut sind auch eingelegte Äpfel, sowie gesalzene oder marinierte Pilze.

In Deutschland wird Wodka gerne gemixt – eine Horrorvorstellung für Sie?

Absehen davon, dass Wodka eine spannende Basis für zahlreiche Cocktails ist, die nebenbei bemerkt nicht unbedingt gastronomische Tradition in Russland sind, ein klares Ja. Für die gastronomische Mentalität ganz wichtig ist: Es ist nicht üblich Wodka mit irgendetwas zu mischen.

Hinter dieser einfachen Regel verbirgt sich eine jahrhundertealte praktische Erfahrung. Jeder Versuch Wodka abwechselnd oder in Kombination mit anderen alkoholischen Getränken wie Wein oder Bier zu trinken, endet normalerweise mit Kollateralschäden.

Wodka – russischer Minimalkonsens für Arm und Reich?

Auch da gibt es gewaltige Unterschiede. In Russland gab es schon immer unterschiedliche Wodkas – teure und billige. Von guter Qualität, oder nicht sonderlich guter. Eigentlich haben Reiche und Arme immer unterschiedliche Wodkasorten getrunken. Jeder hat das getrunken, was er sich leisten konnte.

In der langen Geschichte Russlands gab es immer wieder Zeiten, wo die Staatsmacht aus wirtschaftlichen Gründen Wodka-Politik verschärft hat und versuchte gegen Alkoholkonsum und Alkoholismus zu kämpfen. In solchen Fällen wurde Wodka teurer und nicht mehr erschwinglich für viele Leute. Dafür kam aber eine Menge von Surrogatwaren und selbst gebrannten Getränken auf den Markt, welche die Sterblichkeit der Bevölkerung drastisch erhöhten.

Was kostet Wodka in Russland?

Der offizielle Einzelhandelspreis für legal hergestellten Wodka liegt, nach Abzug aller gesetzlichen Steuern und Abgaben, nicht unter 2 Euro. Die obere Preisgrenze ist offen, denn das ist längst keine Frage der Selbstkosten mehr, sondern eine Frage des Marketings. So kann z.B. eine 0,5 Literflasche Wodka in einer speziell angefertigten Flasche gern 50 bis 70 Euro kosten.

Eine der hochpreisigen Wodkamarken, Wodka Kauffman, hat seinen Wodka in originellen Designerflaschen vor einigen Jahren auf den Markt gebracht und als Vintage-Produkt positioniert, obwohl der Begriff “Jahrgang”, der so wichtig im Weinbau ist, für die Wodkaproduktion nicht relevant ist. Die populärsten und qualitativ hochwertigen Wodkas liegen in der Preiskategorie zwischen 5 und 7 Euro.

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Übrigens: Verdächtig billiger Wodka kann sich manchmal qualitativ von einer zwei- bis dreifach teureren Nachbarflasche im Supermarktregal kaum unterscheiden. Sehr wahrscheinlich sind diese Flaschen in der gleichen Produktionshalle hergestellt worden, aber die billigere Variante wurde illegal in der Nachtschicht produziert.

Der Tag nach dem Wodka – wie fühlt er sich an?

Viele Russen kennen nur zu gut den Katzenjammer an dem Tag nach dem Wodkakonsum. In der Tat ist das eine Körpervergiftung, verursacht entweder durch schlechte Wodkaqualität, durch eine überreichliche Menge oder, am häufigsten, durch beide Faktoren zusammen.

Es gibt viele effektive Volksmittel zur Bekämpfung des Katzenjammers. Und all diese Mittel kann man wissenschaftlich erklären, wenn man chemische und physische Prozesse im Körper eines am Vorabend stark trunkenen Menschen analysiert. Aber für einen am “Kater” leidenden Menschen sind all die Erklärungen völlig uninteressant.

Er (oder sie) wird es in Russland vermutlich mit Sole von Sauerkraut bzw. von eingemachten Gurken zu beseitigen suchen. Das beste Mittel gegen einen ausgewachsenen „Kater“ ist, mit Verstand zu trinken. Das ist ohnehin immer besser.

Über die Autorin

Es gibt sie ganz selten. Doch Anja Hanke hat das grosse Glück zu ihnen zu gehören: Den Menschen, die ihr Hobby zum Beruf machen konnten.

Sie liebt gutes Essen, handgefertigte Weine, erlesene Produkte und diese Verbindung an den verschiedensten Orten dieser Welt einzufangen – und für ihre Leser genussvoll aufzubereiten.

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