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Reinhold Messner – Vom Bergsteiger zum Bergbauern

Reinhold Messner – Vom Bergsteiger zum Bergbauern
Copyright Jelena Moro Fotografie

Für die Aussenwelt ist Reinhold Messner ein Extremer, ein Mythos, Eroberer, Bergsteiger, Redner, Schriftsteller und vielleicht auch manchmal ein Unbequemer, weil er Dinge, die ihm am Herzen liegen, auch unumwunden ausspricht. Doch für die Menschen in Südtirol ist er schlicht und einfach Reinhold. Einer von ihnen, der seine Wurzeln nie vergessen hat und auf Schloss Juval in der Nähe von Meran als Bergbauer und Biolandwirt lebt.

Er hat sie alle erklommen, die 8.000er dieser Welt. Die höchsten und unerforschtesten Gebiete dieses Planeten. Und wenn man Reinhold Messner auf Juval in knapp 1.000 Meter Höhe besuchen möchte, scheint es fast, als müsse man einen ähnlichen Abenteuergeist mitbringen.

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Nur mit dem Shuttlebus geht es hinauf. Zu eng, steil und kurvig ist der Weg, um ihn mit dem eigenen Auto zu bewältigen. Weit ziehen die ausladenden Serpentinenkurven an den Abhang heran. Das Tal rückt immer in weitere Ferne. Der Weg hinauf führt vorbei an Weinreben, Apfelbäumen, Beerensträuchern, Schafen, Hühnern und so manch anderem Getier. Sie alle gehören zu den beiden Bergbauernhöfen, die Reinhold Messner hier betreibt.

Die Begegnung mit einem lebenden Mythos

Schloss Juval - Alterssitz für die Legende Messner
Schloss Juval – Alterssitz für die Legende Messner

Wir treffen den 72-jährigen Südtiroler in der Schlosswirtschaft, die unterhalb seines Schlosses liegt, das sein Bergmuseum beherbergt und in dem er Teile des Jahres mit seiner Familie lebt.

Eine Puppenwelt aus knarzendem Holz, niedrigen Decken, verwinkelten Räumen, kleinen Kreuzgittern an den Fenstern, Masken und Skulpturen aus dem Fernen Osten –ungewöhnliche Akzente in dieser zurückgezogenen Welt, die Reinhold Messner von seinen Reisen mitgebracht hat.

„Als ich hier anfing konnte man im Keller stehen und bis zu den Sternen schauen“, schmunzelt Reinhold Messner. „Wir haben hier alles umgebaut, saniert und wieder so hergerichtet, wie es einmal war.“

Nicht nur das Wirtshaus glich einer Ruine. Der ganze Berg war verwildert. „Selbst die Strasse, die es heute herauf gibt, war damals nicht vorhanden. Es gab nur Wildnis.“ Kaputte Bäume, verwilderte Sträucher, Felder, die man nur mit einer Machete wie im Dschungel begehen konnte.

„Es war wirklich eine Mordsarbeit. Aber sie hat sich wahrlich gelohnt. Heute leben hier Menschen, die dieses Stück Land bewirtschaften und wir können von diesem Anbau wunderbar existieren.“ Nur was bringt einen so berühmten Mann, der die ganze Welt gesehen hat, dazu, in dieser Abgeschiedenheit eine Landwirtschaft aufzubauen?

„Mit 40 Jahren wurde mir klar, dass ich mich für das Alter rüsten muss. Bis dahin hatte ich nie in eine Rentenkasse eingezahlt. In Italien musste man das nicht und ich war Freelance-Bergsteiger, wie man das auf Neudeutsch so schön sagt“, erzählt Reinhold Messner. Augenzwinkernd fügt er hinzu: „Ausser mir hat eh niemand geglaubt, dass ich überhaupt das Alter 40 erreiche.“

Selbstversorgung als Rentenkonzept

Landwirtschaft - für Biolandwirt Messner ein geschlossenes System
Landwirtschaft – für Biolandwirt Messner ein geschlossenes System

Doch dann „überlebte“ er das magische Jahrzehnt und sah die Notwendigkeit, sich ein Polster fürs Alter zu schaffen.

„Irgendwelchen Versicherungen und Rentenpapieren habe ich nie getraut, die geben keine Sicherheit. Als mir dieser Hof angeboten wurde, habe ich ihn gekauft und sofort als Selbstversorgerhof gestaltet. Erst für mich und meine Freundin, die heute meine Ehefrau ist. Dann kamen die Kinder und es wurde immer interessanter, alles zu produzieren, was hier machbar ist. Wenn die Weltwirtschaft untergehen sollte, was ich ja nicht so ganz ausschliesse, haben wir und unsere Pächterfamilien alles, was man zu Leben braucht.“ Es wäre dann zwar ein karges Leben, aber eines, in dem die Grundnahrung gewährleistet wäre.

Auf Juval gehören Reinhold Messner zwei Selbstversorgerhöfe, ein Weingut und ein Bauernhof. Beide Höfe hat er verpachtet. „Das Bewirtschaften erfordert ein grosses Know How“, sagt der mutige Querdenker mit fester Stimme. „Denn der Schlüssel, davon leben zu können, liegt darin, alles in einer Hand zu behalten.“

So muss sein Pächter nicht nur etwas von Landwirtschaft verstehen. Wissen, wie man Gemüse, Obst und Getreide anbaut oder Holz schlägt. Er muss zudem auch Tiere halten, sie schlachten und das Fleisch verarbeiten. „Und letztlich dann auch kochen können, denn in der Schlosswirtschaft schliesst sich der Kreis der Produkte.“ Dieses Wissen wird in den Südtiroler Bergbauernfamilien von Generation zu Generation weitergegeben.

„Auch ich entstamme einer solchen Familie und wünsche mir, dass dieses Handwerk und die Kenntnis, um den Kreislauf der Natur nie verloren geht. Diese Art der Landwirtschaft hätte so auch vor 100 Jahren – ach, vor 1000 Jahren funktioniert. Und wenn es nach mir geht, auch in weiteren 1000 Jahren. Deswegen übergebe ich auch jedem meiner drei Kinder, die hier leben, einen Hof. Diese Art des geschlossenen Systems, in dem von allem etwas da ist, entspringt einer alten Regel. Sie muss geschützt und weitergegeben werden. Ausserdem ist ja auch ein gewisser Luxus dabei. Ich habe den Genuss mir einfach einen Wein holen zu können oder ein Stück Speck – und ich habe immer das Gefühl eine Rückendeckung zu haben.“

Das tibetanische Yak aus der DDR

Mit Tradition zum Vorreiter: Messners Konzept von Landwirtschaft wird inzwischen auch auf anderen Höfen umgesetzt
Mit Tradition zum Vorreiter: Messners Konzept von Landwirtschaft wird inzwischen auch auf anderen Höfen umgesetzt

Der dritte Selbstversorgerhof, den Reinhold Messner auch von Grund auf neu aufgebaut hat, liegt etwa eine Stunde von Juval entfernt auf 1.900 Metern Höhe. „Hier kann man wirklich nur Fleisch produzieren.“ Und genau das tut er. Er züchtet Yaks. Eine tibetanische Rinderrasse, die Höhe und Kälte braucht.

Mittlerweile gibt es tausende Yaks in Europa, denn die Tiere sind nicht nur extrem pflegeleicht und ihr Fleisch zudem besonders gesund und frei von Cholesterin, es schmeckt auch sehr gut. „Ich würde es zwischen Wild und Rind einordnen, zart und sehr aromatisch“, meint der Bergbauer Messner. „Yaks sind einfach schöne Tiere. Eine Kuh ist banal und ein Yak ein Edeltier“, zieht er schmunzelnd sein Fazit und wieder blitzt der jungenhafte Schalk in seinen Augen auf.

Seine Herde kam über Umwege aus der Mongolei über die damalige DDR. „Dort versuchte man Yaks mit anderen Hochlandrindern zu kreuzen – erfolglos.“ Man verkaufte die Tiere nach Bayern und von dort kamen sie dann zu Reinhold Messner. Wieder zog er sein Modell von den Höfen auf Juval hervor.

Wir machen hier reine Muttertierhaltung, keine Milchproduktion. Im Sommer kommen die Tiere auf die Alm, denn die Hitze macht ihnen zu schaffen. Je kälter, desto wohler fühlen sie sich – bis minus 40 Grad können sie draussen überleben. Den Almtrieb mache ich gern selbst.“ Im Winter kommen die Tiere dann wieder unten auf die Weideflächen des Hofes. Auch zu diesem Hof gehört eine Wirtschaft. Sie lebt ausschliesslich von Gerichten mit Yakfleisch. Der Kreislauf hat sich geschlossen. Der Hof ist überlebensfähig.

Ein schrilles Hahnenkrähen ertönt aus Reinhold Messners Hosentasche und unterbricht das Gespräch für einen Moment. Sein Handy klingelt. Ein Anruf aus Pakistan. „Sie sehen, ich habe immer mit Viechern zu tun“, grinst er mit Blick auf das Telefon mit diesem sehr markanten Klingelton.

Schon als Kind kam Reinhold Messner mit Tieren in Berührung. Sein Vater, ein Lehrer, betrieb eine Hühnerfarm, um das Familieneinkommen aufzubessern und die neun Kinder satt zu bekommen. Seine Mutter kümmerte sich um die Tiere, den Haushalt und die Erziehung. „Wir lebten auf engen Raum miteinander, aber ich hatte nie das Gefühl, dass unsere Eltern uns nicht satt bekommen könnten. Diese Geborgenheit und Sicherheit zu haben, ist ein hohes Gut – ein Fundament für das Leben.“

Köstliche Erinnerungen an seine Kindheit

Messner kennt Verzicht - und weiss vielleicht aus diesem Grund Genuss besonders zu schätzen
Messner kennt Verzicht – und weiss vielleicht aus diesem Grund Genuss besonders zu schätzen

Noch heute sagt Messner: „Meine Geschmacksnerven sind geprägt von der guten, alpinen Küche meiner Mutter. Sie hat diese einfachen Gerichte gekocht, die heute fast verloren gegangen sind.“ Doch erst auf seinen Reisen lernte er die ganze Vielfalt der Kulinarik kennen. „Ich habe so einiges gegessen, bei dem ich meinen Kopf ausschalten musste“, sagt er und lächelt bei der Erinnerung an seine Erlebnisse.

Seine Regel: Esse in der Fremde immer das, was die Einwohner vor Ort auch essen. „Auch wenn das manches Abenteuer auf dem Teller mit sich gebracht hat.“ Das fängt bei Sushi und lebendigem Fisch in Japan an und hört bei Käfern in Malaysia und Schafsaugen- und Ohren in Kirgistan auf. „Wenn man als Ehrengast in Familien eingeladen wird, kann man nicht einfach nein sagen. Da lautet die Devise: Augen zu und durch.“

Dennoch bezeichnet sich der weitgereiste Abenteurer als Geniesser. „Vielleicht gerade, weil ich weiss, was Verzicht bedeutet und es gewohnt bin, oft wochenlang auf Expeditionen das Gleiche zu essen. Diese Gerichte sind dann zwar nahrhaft, aber bestimmt keine Gourmetküche.“

Aber was bringt einen Menschen dazu, ständig an seine körperlichen und geistigen Grenzen zu gehen? Ist es das Endorphin-geschwängerte Glücksgefühl, wenn man den Gipfel des Berges erreicht hat? „Es gibt dort oben kein Glücksgefühl“, sagt Messner dazu schlicht. „Das ist eine Fantasievorstellung des Laien. Wenn man oben angekommen ist, will jeder nur wieder runter und in Sicherheit.“

Und trotzdem gleich auf den nächsten Berg wieder hinauf? „Völlig schizophren, ich weiss“, lacht der Endsechziger lauthals. „Es ist schwer zu erklären. Da ist einfach dieser Reiz da, etwas schaffen zu wollen, von dem andere sagen, es sei unmöglich. Doch im Grunde bin ich ein Eroberer des Unnützen. All diese Besteigungen haben keinen nachhaltigen Sinn. Aber das, was ich jetzt mache schon. Diese Höfe sind etwas Nützliches, etwas Konkretes. Sie schaffen Arbeitsplätze, Nahrung und Sicherheit.“

Fast scheint es, als sei Messner erst in seiner zweiten Lebenshälfte auf dem grössten aller Gipfel angekommen. Doch die Jahre in dramatischen Situationen, in der Steilheit und Begrenzung enger Felsspalten, waren eine gute Vorbereitung auf das, was folgte. „In der Landwirtschaft, wie am Berg, muss man sich auf seinen Instinkt verlassen können“, erklärt er. „Am Berg zu leben und zu überleben, ist eine Erfahrungssache, die erst mit der Zeit entsteht. Das ist Bergkultur und ich bin heute viel mehr ein Bergbauer als ein Bergsteiger.“

Ein Mensch übers menschlich sein

Reinhold Messner ist sich treu geblieben. Er ist von dem Extrem der Grenzerfahrungen am Berg in das Extrem einer aussergewöhnlichen Art der Landwirtschaft gewechselt. Und das, obwohl er auch hier einige Gegner hatte. „Ich habe es trotzdem riskiert und das Konzept ist aufgegangen.“

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So gut, dass er zum Vorreiter wurde. Mittlerweile gibt es auf Juval drei weitere Höfe, die nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren. Zudem haben sich 90 Bauern der Region zusammengeschlossen und am Fusse des Berges einen Laden eröffnet, in dem sie ihre Produkte anbieten.

Ob er nie Angst hatte, zu versagen? „Versagensangst ist der falsche Ausdruck. Eher Angst, etwas nicht umsetzen zu können und abbrechen zu müssen. Aber so geht es uns doch allen. Wir alle bestehen Prüfungen und leben dabei mit dieser Angst. Ich bin eben auch nur ein Mensch.“

Über die Autorin

Es gibt sie ganz selten. Doch Anja Hanke hat das grosse Glück zu ihnen zu gehören: Den Menschen, die ihr Hobby zum Beruf machen konnten.

Sie liebt gutes Essen, handgefertigte Weine, erlesene Produkte und diese Verbindung an den verschiedensten Orten dieser Welt einzufangen – und für ihre Leser genussvoll aufzubereiten.

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