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Monsieur Violier kocht, schiesst und strahlt

Monsieur Violier kocht, schiesst und strahlt
Copyright Benoît Violier

Das berühmteste Restaurant des Landes zu übernehmen, ist eine Herausforderung. Nicht alle haben dem eher zurückhaltenden Koch Benoît Violier zugetraut, in die Fussstapfen seiner Vorgänger zu treten. Doch fast zwei Jahre nach der Stabübergabe im Restaurant de l’Hôtel de Ville im schweizerischen Crissier sind alle Zweifel beseitigt. Das waadtländische Lokal ist nach Ansicht der meisten Kritiker nach wie vor die kulinarische Nummer eins der Eidgenossenschaft.

Von einer Küche zu reden, wäre untertrieben. Der Ort, an dem der Chef des von außen eher unscheinbaren Restaurants im Städtchen Crissier aufkochen lässt, hat die Dimensionen eines veritablen Gastraumes. Würde man alle Herde, Öfen und Anrichteflächen hinausräumen, bekäme man mühelos zehn oder 15 Tische hinein: Andere Restaurants würden sich freuen, wenn sie nur halb so viel Platz zur Verfügung hätten!

KÜCHE FÜR DIE ÖFFENTLICHKEIT

Öffentlichkeit ist bei Benoît Violier dann auch gern gesehen. Die Küche ist keine geheimnisvolle Vorbereitungs-Dunkelkammer, sondern wird den Gästen ohne Weiteres gezeigt. Ist ja auch alles vom Feinsten: Der Stahl blitz und blinkt, die Fensterfronten erlauben Ausblicke, und die Patisserie hinten links hat ihren eigenen komfortablen Bereich, um all die nach dem Dessert gereichten Mignardises und süssen Kleinigkeiten zusammenzuschichten. Ganz vorne thront der Patron, der gebürtige Franzose Benoît Violier, und ruft die Bestellungen aus.

Auch jene für den Küchentisch auf der linken Seite. Den kann man reservieren und dann, zu zweit oder zu viert, den Köchen über die Schultern schauen. Und sehen, dass alles wie am Schnürchen funktioniert, dass die Brigade eingespielt ist wie kaum eine andere Koch-Mannschaft der Schweiz. Dass auch Frauen mitarbeiten – bei unserem Besuch zwei – ist ebenfalls eine Erwähnung wert; in der französischsprachigen Schweiz und in Frankreich ist der weibliche Part am Herd noch keine Selbstverständlichkeit.

STABÜBERGABE ZUM ZWEITEN MAL

Die Küche hat Violier von seinem Vorgänger geerbt, den Ruhm des Restaurant de l’Hôtel de Ville auch. Inzwischen scheint der Chef, der bei der Pressevorstellung vor drei Jahren noch ein bisschen schüchtern wirkte, seine Rolle gefunden zu haben. Zusammen mit seiner Frau Brigitte, einer ebenso sympathischen wie souveränen Gastgeberin, setzt er die Geschichte des Hauses fort. Eines Hauses, das Violier seit langem kennt. Schon 1996 setzte der junge Franzose erstmals seinen Fuß über die Schwelle des Restaurants.

Damals amtierte hier der legendäre Frédy Girardet, der als Koch des Jahrhunderts ausgerufen wurde und sogar von den Stars der Szene in Frankreich als großes Vorbild gewürdigt wurde. Bald darauf übergab Girardet Restaurant und Chefposten an Philippe Rochat, und Violier stieg allmählich in der Hierarchie nach oben, avancierte ab 1999 schließlich zum Chef de Cuisine, dem Posten unterhalb des Patrons, wurde zur rechten Hand von Rochat. Als der 2012 seinen Rückzug einleitete, war die Übergabe schon geraume Zeit geplant worden – uns sie war fast logisch.

MEHR FOKUSSIERUNG DENN JE

In den letzten beiden Jahren hat sich einiges geändert in Crissier, einem im Prinzip unspannenden Ort nahe Lausanne. Violier hat den Gastraum dezent modernisieren lassen – er hatte es nötig –, die Küche ist auf dem modernsten Stand, und die Speisekarte wurde ein bisschen aufgepeppt. „Ich will mich noch stärker auf einige wenige Produkte konzentrieren“, sagt Violier und strahlt.

Keine Verzettelung, keine modernistischen Spielereien, stattdessen eine auf klassische Ideen zurückgreifende Art des Kochens. Grande Cuisine auf französische Art, aber ergänzt um den einen oder anderen Rückgriff auf asiatische Gewürze oder Schweizer Traditionen. Hummer aus der Bretagne habe ich hier schon verzehrt, die Seezunge in Weißweinsauce und Desserts, die in atemberaubender Präzision Schokolade und Obst miteinander kombinieren.

Und immer wieder ist es Wild, das im Mittelpunkt des Essens steht. Gams (großartiger Geschmack), Wildtaube, Reh oder Steinbock, beim letzten Mal habe ich Mufflon gegessen, das der Chef selbst geschossen hatte, beim vorletzten Mal Hase. Vorgelegt von einem Restaurantdirektor, der auch nicht mehr der Jüngste ist und seiner Strenge wegen viel kritisiert wurde, der aber seit Neuestem eine erstaunliche Jugendlichkeit versprüht.

Der Einfluss des 1971 geborenen Benoît Violier scheint sich auch auf seine Mitarbeiter auszuwirken. Ein erneuter Stabwechsel steht folglich erst mal nicht an; der neben Andreas Caminada (Schloss Schauenstein) höchstdekorierte Koch der Schweiz wird noch eine Weile für Furore sorgen.

Restaurant de l’Hôtel de Ville, www.restaurantcrissier.com

Nachruf: Kürzlich erreichte uns die Nachricht des Ablebens von Herrn Violier. Auf diesem Weg möchten wir unsere tiefe Anteilnahme gegenüber Familie und Freunde von Benoît Violier zum Ausdruck bringen. Seine kulinarisches Lebenswerk bleibt unvergessen!

Über den Autor

Wolfgang Fassbender ist seit 25 Jahren als freier Journalist in den Bereichen Wein und Gastronomie tätig. Der gebürtige Leverkusener hat mehr als 80 Bücher geschrieben oder herausgegeben, arbeitet für viele Zeitschriften und mehrere Zeitungen, testet sich als Restaurantkritiker durch die Welt.

Er pendelt zwischen seinen Wohnsitzen im Rheinland und Zürich.

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