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Dario Cecchini – Der italienische Gott des Bistecca

Dario Cecchini – Der italienische Gott des Bistecca
Copyright Dario Cecchini

Erlebnisgastronomie. Braucht sie Theater, Schauspieler, Jongleure? Dario Cecchini beweist in seiner „Officina della Bistecca“ ganz klar: Nein! Er braucht ein einziges Produkt – Rindfleisch – und pure Leidenschaft zur Gastlichkeit, um aus seinen Gästen eine grölende Meute zu machen.

Macht erfolgreiche Gastronomie eine endlose Speisekarte aus? Verschnörkelte Gerichte, die mit Zutaten gespickt sind, von deren Existenz man bislang nicht wusste, geschweige denn, dass man sie aussprechen kann? Fragen, die Dario Cecchini mit einem müden Lächeln abtut. Schliesslich beweist er in seiner „Officina della Bistecca“ im toskanischen Panazano jede Woche aufs Neue das Gegenteil:

Bei ihm gibt es lediglich ein Menü, jeden Abend dasselbe – und das jede Woche, das ganze Jahr über. Die Hauptzutat dafür ist das Fleisch des Chianina-Rinds. Für manch einen mag es nur Fleisch sein, für andere wiederum eine Delikatesse. Denn dem Chianina – der grössten Rinderrasse der Welt – wird eine aussergewöhnliche Zartheit und Qualität nachgesagt. Für Dario Cecchini ist es jedoch mehr als Fleisch. Viel mehr eine ganz besondere Liebe. Sein Lebenselixier.

Zu Grabe getragen und wiedergeboren

Als vor Jahren die BSE-Krise kursierte, traf das den passionierten Fleischesser bis ins Mark. Damals war er nur ein einfacher Metzger, der den kleinen, aber feinen Familienbetrieb in der zweiten Generation führte und es liebte sein Bistecca della Fiorentina an seine Kundschaft zu verkaufen.

Mit der Krise verbot die Regierung jedoch das Steak weiterhin mit dem gefährlichen Wirbelsäulenknochen, allerdings dem entscheidenden Geschmacksträger, zu verkaufen. Die Konsequenz Cecchinis: Er trug das Fiorentina zu Grabe. Life und medienwirksam schritt er mit einem grossen Stück Fleisch in den Händen vor laufenden Kameras durch die schmalen, schattigen Gassen Panzanos und beerdigte das Bistecca.

Fünf lange Jahre dauerte seine Trauer. Fünf Jahre, in denen die Tradition der Toskana in Stillstand geriet. Doch seit dem 1. Januar 2006 verkauft er es wieder – sein Chianina. Und um seiner Freude richtig Ausdruck zu verleihen, eröffnete er anderthalb Jahre später über der Familienmetzgerei die „Officina della Bistecca“. Dort wird seitdem das Fleisch nicht nur gegessen, viel mehr wird es gefeiert und zelebriert bis die Gäste in Jubelstürmen von den Stühlen aufspringen.

Erlebnisgastronomie auf Italienisch

„Ich bin der Gott des Bistecca“

Schliessen Sie die Augen und machen Sie eine Reise in eine andere Welt, in ein anderes Italien. Ein Italien, in dem man nicht erst um zehn Uhr abends zum Essen geht. Denn betritt man die „Officina della Bistecca“ erst um 20 Uhr, dann ist hier die Party schon im vollen Gange.

Und wer in der „Officina“ – zu Deutsch Werkstatt – einen feingedeckten Tisch mit Tafelsilber mit weissgestärkten Stoffservietten erwartet, dem sei gesagt: Der Name ist hier durchaus Programm! Denn hier findet man rustikale Erlebnisgastronomie, in einem ganz neuen Format. Für den Obulus von 50 Euro pro Person bekommt man ein All-inklusive-Menü mit einem mehr als drei Stunden andauernden, sagenhaften Erlebnischarakter.

Die Plätze sind lediglich durch rote Papiersets mit dem Logo des Restaurants markiert. Daneben liegt ein weisses DIN-A 4-Blatt, das die Speisenfolge des Abends verrät. Auf dem Tisch ist alles für den ersten Gang eingedeckt. Salz, Pfeffer, Öl und Essig, für die bereitgestellten Gemüsesticks. Karaffen mit Wasser und mit Bast bespannte Flaschen roter Hauswein. Von allem gibt es soviel man will – ohne Aufpreis. Und wenn man einen besonderen Wein haben möchte, dann bringt man ihn sich einfach mit.

Nichts für zarte Gemüter

So gerüstet kann der, mit einer gehörigen Portion Theatralik gewürzte, Fleischmarathon beginnen. Von verschiedenen Beilagen begleitet, lernt man die kulinarischen Werte des Chianina-Rinds zu schätzen. Zuallererst als Sushi. Und wo wir schon bei rustikal wären… Aus einer Schüssel schiebt Dario jedem ein Häppchen des rohen Rinds mit der Fleischgabel auf den Teller. Wie Hundefutter in einen Trog. Platsch. Schnell noch die Anweisung es mit Salz, Pfeffer und Olivenöl zu würzen und dann bekommt der nächste Gast seine Portion. Platsch.

Zum zweiten Gang gibt es das Sushi auf demselben Teller dann halb gegart. Die gleiche Prozedur. Platsch. Zwischen den einzelnen Gängen legen Dario und seine drei Köche, die das gesamte Lokalpersonal ausmachen und damit Mädchen für alles sind, Showeinlagen mit maximalem Unterhaltungswert ein.

Es wird gescherzt, gejubelt und krakelt – und die internationalen Gäste, die regelrechte zur Officina pilgern, lieben es. Sie sitzen Mitten im Geschehen zwischen rohen Steaks, Wein und Beilagen. Der offene Grill mitten im Lokal versprüht eine fast unerträgliche Hitze, die einem den Schweiss auf die Stirn treibt, und auf verkohlten Rost brutzelt bereits anschaulich der erste Steakgang des Menüs: Bistecca Panzanese. Vier Zentimeter dick und so riesig wie drei grosse Männerhände. Immer wieder wendet der Koch die riesigen Fleischklumpen mit Handschuhen. Hygienevorschriften? Wen interessiert das bei diesem Spektakel?!

Spätestens jetzt sitz keiner mehr still auf seinem Stuhl. Alle wollen sehen, was als nächstes passiert. Entscheidend ist der richtige Moment des Garens, der das Fleisch zu der toskanischen Spezialität schlechthin macht. Aussen heiss, knusprig und saftig zugleich. Innen fast noch roh und dennoch genau richtig. Dann wird serviert. Dario Cecchini packt zwei Steaks mit seinen behandschuhten Pranken, reisst sie in die Luft und schreit durch das Lokal: „Io sono il Dio di Bistecca.“ – „Ich bin der Gott des Bistecca“. Die Gäste applaudieren, pfeifen und jubeln ihm zu. Weiter geht seine Huldigung auf sich und das Fleisch ehe es mit einem scharfen Messer in Würfel gehackt wird.

Es lebe das Leben

Wie eine hungrige Meute stürzen sich die Gäste auf die gehackten Fleischbrocken, die erneut mit einem Platsch auf ihrem Teller landen. Dazu ein Stück salzarmes Foccacia, etwas weisser Bohnensalat, gebackene Kartoffeln und Wein, der in Strömen fliesst. Wer sich jemals gefragt hat, wie die römischen Gelage früher einmal abliefen – der weiss es spätestens zu diesem Zeitpunkt.

Wie im Delirium essen und feiern die Gäste den Abend, die Stimmung und das Bistecca. An einem Abend werden bis zu 30 Kilo Fleisch verbraten. Aber das ist nur eine Zahl, denn hier geht es um das Leben, die Freude, das Miteinander – und um die Einfachheit des Essens, die von bester Fleischqualität getragen wird.

Von Donnerstag bis Sonntag entfacht Dario mit seinem Team dieses einzigartige kulinarische Stimmungsfeuer. Weit entfernt von toskanischer Stille, die man beim Betrachten der romantischen Landschaft mit ihren typischen Zypressen- und Olivenhainen verspürt. Und dennoch ist ein Abend beim Gott des Bisteccas ebenso berührend und unvergesslich.

Weitere Informationen unter www.dariocecchini.com

Über die Autorin

Es gibt sie ganz selten. Doch Anja Hanke hat das grosse Glück zu ihnen zu gehören: Den Menschen, die ihr Hobby zum Beruf machen konnten.

Sie liebt gutes Essen, handgefertigte Weine, erlesene Produkte und diese Verbindung an den verschiedensten Orten dieser Welt einzufangen – und für ihre Leser genussvoll aufzubereiten.

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